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Rückblick auf ein erfolgreiches Memoriav Kolloquium 2022 in Bern

Audiovisuelle Zeitzeugnisse sichern und vermitteln.
Rückblick auf ein erfolgreiches Memoriav Kolloquium 2022 in Bern

In Zusammenarbeit mit dem Institut für Theaterwissenschaft der Universität Bern und der Stiftung SAPA (Schweizer Archiv für Bühnenkunst) hat Memoriav letzte Woche ein wichtiges Kapitel der Überlieferung von Geschichte aufgegriffen: die Erhaltung und Vermittlung von audiovisuellen Oral-History-Dokumenten. Ein für die Zeitgeschichte wichtiger Dokumententyp, dem Memoriav im Rahmen seines national angelegten Inventarprojekts immer wieder begegnet.

Rund 80 Personen waren im eindrücklichen Kuppelsaal der Universität Bern anwesend, um sich zusammen mit über 20 weiteren online zugeschalteten Gästen über Projekte mit Pioniercharakter, konzeptionelle Herausforderungen und technische Lösungen sowie über die gesammelten Erfahrungen bei der Erhaltung von audiovisuellen Oral-History-Dokumenten auszutauschen. Die Referentinnen und Referenten aus dem In- und Ausland boten einen breiten Überblick über die vielfältigen Möglichkeiten, wie Überlieferungslücken durch Zeitzeugeninterviews geschlossen und wie diese Dokumente nachhaltig erhalten und vermittelt werden können. Der attraktive «Marché» ermöglichte den Anwesenden ausserdem verschiedene aktuelle Oral-History-Projekte kennen zu lernen.

Die einem breiten Oral-History-Begriff verpflichteten Projekte und Institutionen ermöglichten Einblicke in unterschiedliche Motivationen für Zeitzeugenbefragungen, ihre Nutzung und Archivierung:
Mit dem Archiv für Zeitgeschichte eröffnenten Pioniere im Feld der Oral-History die Tagung. Seit den 1980er Jahren erhebt das AfZ OH-Quellen selber und übernimmt von Dritten aufgenommene Dokumente erschliesst sie und macht sie zugänglich. Ungefähr gleich lang ist das Centro di dialettologia e di etnografia di Bellinzona daran, Dialekt sprechende Tessinerinnen und Tessiner zu ihren Lebenswelten zu befragen. Die Resultate werden in Forschungen und Publikationen ausgewertet, publiziert, die Interviews für die Wissenschaft zur Verfügung gestellt. Auch im dritten Referat spielt die Wissenschaft eine tragende Rolle. Die fruchtbare Zusammenarbeit von SAPA und dem Bereich Tanz des Instituts für Theaterwissenschaften nutzt Interviews mit Tanzschaffenden dazu, das Wissen einer ephemeren Kunst zu sichern und es sowohl als Forschungsdaten zu erhalten wie auch für die Allgemeinheit zu publizieren. Die erste Intervention aus dem Ausland machte die Teilnehmenden mit dem Projekt Oral-History.digital aus Deutschland bekannt, das Knowhow und Infrastrukturen für Oral-History-Projekte aus dem ganzen deutschsprachigen Raum aufbaut und zur Verfügung stellt. Ergänzt wurden die Ausführungen durch die live-Präsentation des bereits existierenden Portals Archiv «Deutsches Gedächtnis» für OH-Dokumente der FernUniversität Hagen . Das letzte Referat vor der Mittagspause stellte die Regionale Elsässer Cinémathèque MIRA vor, wo bewegte Bilder aus der Region, darunter auch Zeitzeugeninterviews z.B. über die Zeit des Algerienkriegs archiviert und zugänglich gemacht werden.
Nach den inspirierenden Erfahrungen während des Marchés hörten die Kolloquiumsteilnehmenden als erstes einen kurzen Vortrag und ein Gespräch über die Videointerviews des Musée international de l’horlogerie (La-Chaux-de-Fonds) zu Berufen, die mit der Herstellung von Zeitmessern zu tun haben. Die Videos waren zur Illustration des Uhrmacherhandwerks als neues immaterielles UNESCO-Kulturerbe hergestellt worden und können auf der Website des Museums visioniert werden. Im zweiten Vortrag des Nachmittags stellte das Staatsarchiv Luzern eine Auswahl von interviewten Personen des Projekts «Wissen sichern – Quellen schaffen» vor, mit dem die Lebenswelten von ganz unterschiedlichen, im Kanton Luzern wohnenden Leuten festgehalten wurden und als künftige Quellen zu archivieren sind, was mit grossen finanziellen Herausforderungen für das Archiv verbunden ist.
Der letzte Vortrag behandelte verschiedene persönlichkeitsrechtliche Fragen, die sich im Umgang mit OH-Dokumenten stellen können: Welche Punkte müssen in einem Vertrag geregelt werden, welche Optionen haben Institutionen, wenn Vereinbarungen fehlen oder was passiert, wenn eine interviewte Person die Zustimmung zur Veröffentlichung widerruft?
Zum Abschluss wurden die wichtigsten Erkenntnisse des Tages zu den Bedingungen nachhaltiger Nutzung und Zugänglichkeit von OH-Dokumenten zusammengetragen und angekündigt, diese in die Memoriav-Empfehlungen einfliessen zu lassen.

Marché: Oral-History-Projekte

Im Rahmen des Kolloquiums findet im Kuppelraum auch ein Marché mit Oral-History-Projekten statt.

Projekte am Marché:

Fotos: Valérie Sierro und Laurent Baumann / Memoriav

Die Referate des Kolloquiums

Finden Sie hier die Folien der Referate im PDF-Format sowie weiterführende Links .

Wie finden? Über Bewegungen in Sammlungen
Gregor Spuhler, Archiv für Zeitgeschichte der ETH Zürich
Das Archiv für Zeitgeschichte begann 1973 mit der systematischen Tonaufzeichnung von Zeitzeugeninterviews. Unter den heute 3000 Ton- und Videodokumenten befinden sich zahlreiche Erinnerungsinterviews. Was braucht es, damit Oral History-Dokumente als überlieferungswürdig eingestuft, professionell archiviert und für zukünftige Forschungen genutzt werden können? Folien des Vortrags (PDF)
Weitere Links: https://afz.ethz.ch/lehre-forschung/brennpunkt-zeitgeschichte/oral-history.html


Les sources orales : techniques et utilisation dans les domains linguistique et historique
Nicola Arigoni, Centro di dialettologia e di etnografia di Bellinzona
L’Archive des sources orales, créée en 1982, comprend plus de 600 enregistrements réalisés dans tout le canton du Tessin et exceptionnellement dans les régions limitrophes jusqu’à aujourd’hui. Il vise à documenter, grâce à des informateurs natifs des localités respectives, les idiomes locale qu’ils sont encore utilisés pour l’interaction au sein de la communauté et à attester des activités, coutumes, modes de vie limités au passé. La conférence abordera les aspects liés à la technique de collecte, de conservation et de catalogage, ainsi que les aspects relatifs à l’importance et à l’utilisation de ces matériaux. Slides de la présentation (PDF)


Kulturerbe und Forschung: Oral History im Zusammenspiel zweier Institutionen
Beate Schlichenmaier, Stiftung SAPA
Julia Wehren, Institut für Theaterwissenschaft (ITW) der Universität Bern
Tanzspuren sammeln, auswerten, erforschen und archivieren: In einer erfolgreichen Kooperation führen die Stiftung SAPA, Schweizer Archiv der Darstellenden Künste und das Institut für Theaterwissenschaft der Uni Bern ihre Kompetenzen im Bereich Oral History zusammen. Während SAPA seit 2012 Pionierarbeit in der Oral History zum Schweizer Tanz- und Theaterschaffen leistet und seither seinen Bestand kontinuierlich ausbaut und u.a. in Vermittlungsprojekten auswertet, nimmt das universitäre Forschungsvorhaben den Faden ab 2020 in tanzwissenschaftlicher Ausrichtung auf. Es verwebt methodische, tanzhistoriografische und theoretische Fragen zur Oral History im Tanz und verbindet diese mit der Schreibung von Schweizer Tanzgeschichte(n). Die Präsentation gibt Einblick in die Zusammenarbeit mit besonderem Blick auf den Lebenszyklus der Forschungsdaten. Folien des Vortrags (PDF)
Weitere Links: https://sapa.swiss/oral-history/, https://www.the-pellaton-experience.ch/, https://www.theaterwissenschaft.unibe.ch/forschung/projekte/laufende_projekte/auto_bio_grafie_als_performance/index_ger.html


De la production d’images à leur diffusion pérenne : l’exemple d’une cinémathèque régionale
Odile Gozillon-Fronsacq, MIRA
MIRA (Mémoire des Images Réanimées d’Alsace) est une cinémathèque régionale du Nord-Est de la France. Créée en 2006 pour collecter des films amateurs en rapport avec cette région, elle produit ces dernières années de plus en plus d’images. La question de leur diffusion pérenne est récente, et une réflexion est en cours, stimulée par la participation à ce colloque. Slides de la présentation (PDF)


Oral-History.Digital. Erschliessung- und Recherche-Plattform für Zeitzeugeninterviews
Herdis Kley, Freie Universität Berlin
Dennis Möbus, Institut für Geschichte und Biographie der FernUniversität Hagen
Das Projekt Oral-History.Digital entwickelt eine Erschließungs- und Recherche-Platt- form für wissenschaftliche Sammlungen von audiovisuell aufgezeichneten narrativen Interviews. Sie unterstützt sammelnde Institutionen und Forschungsprojekte bei der Ar- chivierung, Erschließung und Bereitstellung sowie der sammlungsübergreifenden Re- cherche, Annotation und Auswertung von Zeitzeugen-Interviews. Folien des Vortrags (PDF)
Weitere Links: https://www.oral-history.digital/, https://deutsches-gedaechtnis.fernuni-hagen.de/


Documenter les savoir-faire horlogers à travers des films
Régis Huguenin, Musée international d’horlogerie de la Chaux-de-Fonds
A l’occasion de l’inscription des Savoir-faire en mécanique horlogère et mécanique d’art sur la Liste du patrimoine culturel immatériel de l’UNESCO le 16 décembre 2020, le Musée international d’horlogerie, la Ville de La Chaux-de-Fonds et la République et Canton de Neuchâtel ont produit des capsules vidéo afin de documenter et valoriser certaines pratiques entrant dans le giron de cette inscription. Une douzaine de films a été réalisée à ce jour, donnant à voir, par le regard de l’ethnologue Sélima Chibout et par autant de rencontres avec des praticiens de l’horlogerie et de la mécanique d’art, des univers professionnels variés et mettant en exergue l’intangible d’une culture commune. Présentation directement sur le site: https://www.chaux-de-fonds.ch/musees/mih/patrimoine-unesco


«Wissen sichern – Quellen schaffen». Interviews mit Zeitzeugen auf Halde
Jürg Schmutz, Staatsarchiv Luzern
Im Rahmen des Projekts «Wissen sichern – Quellen schaffen» wurden im Auftrag des Staatsarchivs Luzern ausführliche Interviews von rund zwei Stunden Dauer geführt mit älteren und jüngeren, mehrheitlich «nicht-prominenten» Personen, die aufgrund ihres Lebenswegs entweder exemplarisch für bestimmte Berufe oder Tätigkeiten sind oder aber aussergewöhnliche Lebenswege haben, die gegebenenfalls später für die Illustration des ausgehenden 20. und des beginnenden 21. Jahrhunderts von Interesse sein können. Interviewt wurden beispielsweise eine Jungbäuerin, ein ehemaliger Industrieller, eine Pflegerin mit Migrationshintergrund, eine Verkäuferin in einem Quartierladen etc. Da das Projekt bewusst nicht auf eine spezifische Forschungsfrage ausgerichtet war und keine unmittelbare Auswertung vorgesehen ist, sind die Interviews gewissermassen auf Halde produziert und können später als Zeitkapseln genutzt werden. Folien des Vortrags (PDF)


Persönlichkeitsrechte bei Oral-History-Dokumenten
Alice Reichmuth Pfammatter, Rechtsanwältin
Die Referentin geht praxisorientiert Schnittstellen zwischen Erhaltung von Kulturgut und der Wahrung von Persönlichkeitsrechten nach. Welche Grenzen setzen die Persönlichkeitsrechte von Zeitzeugen einer späteren Nutzung von Oral-History-Dokumenten? Wie kann proaktiv im Zeitpunkt der Aufnahme von Dokumenten ihre spätere Verwendung sichergestellt werden? Die Folien stehen nur den Teilnehmenden des Kolloquiums zur Verfügung.

 

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